Geheim, geheim, geheim

Die Fänger der Binsen

Manchmal kann man ihn wirklich mit Händen greifen, den Zeitgeist. Wie genervt, wie enttäuscht war man nach den neuesten Veröffentlichungen von Wikileaks. Alles was man ahnte, durfte man als Einschätzung des örtlichen Personals der amerikanischen Botschaft noch einmal nachlesen. Merkel unkreativ, Westerwelle überschäumend, Seehofer unberechenbar. Was für Binsen, die höchstens narzisstische Seelen, die es direkt betraf, in ihrer Schwarz-auf-Weiß-nachzulesen-Wucht getroffen haben mag. Merkel aber ist des Narzissmus erfreulich unverdächtig.

Ich war selber zu lange investigativ als Journalist unterwegs. Da sind mir massivere Informationen zugetragen worden, die sich dann als nicht haltbar oder nicht nachweisbar erwiesen  haben. Da blieb nichts anderes übrig als klein bei zu geben, wollte man nicht vor Gericht wegen übler Nachrede belangt werden. Die Lektion durfte ich sehr früh in meiner Journalistenwerdung lernen. Da wurde ich flugs verurteilt, weil ich den Bericht eines Schwarzen Sheriffs, der die üblichen Gepflogenheiten in seinem Job geschildert hatte, wiedergegeben hatte. Und weil ich mich weigerte, den Informanten preis zu geben, hatte ich sehr schnell eine saftige Geldstrafe an der Backe. Wegen übler Nachrede.

Öffentlichkeit als Schutz

Später in strittigen Themen als Reporter beim WIENER, wo Aussage gegen Aussage stand, schützte mich die Scheu der Entlarvten vor der Öffentlichkeit. Bei meinem Besuch als Spendeneintreiber bei Alois Müller, bei meinen Recherchen im Bayerischen Umland auf der Suche nach Bauplatz und Arbeitskräften für ein AIDS-KZ oder bei meiner Akquise von Schleichwerbung bei Dieter Thomas Heck, nie kam es zu Klagen gegen mich oder den WIENER. Die Angst vor negativer Publicity, die eine öffentliche Verhandlung – noch dazu bei einem Journalisten – bringen würde, war zu groß. So schützte mich bei meinen Leakings (das Wort war sowas von noch nicht erfunden damals) die Öffentlichkeit und ihr Interesse an Enthüllungen.

Nichts davon war zu Beginn der Wikileaks-Enthüllungen zu spüren, eher ein genervtes Augenverdrehen. Dann aber kam die Reaktion der Politik. Plötzlich wurden Server abgeschaltet, Bankkonten gesperrt, Anklage erhoben, Haftbefehle erteilt – und von einem US-Senator sogar die Todesstrafe für Wikileaks-Chef Julian Assange gefordert. Alles viel zu heftig, verdächtig uncool. Was man selbst mit einem Schulterzucken abgetan hatte, scheint andere schwer getroffen zu haben. Da scheint einer Kaste von Mächtigen das übliche Spiel kräftig vermiest worden zu sein. So reagiert, wer wirklich was zu verbergen hat.

Spielgeld für Monopoly

Zur selben Zeit passieren dann in aller Öffentlichkeit Kuriositäten wie die Vergabe der Fußball-WM an Russland und Katar. Da denkt sich noch der unbedarfteste Mensch so seinen Teil. Zur selben Zeit wird bei der Schlichtung in Stuttgart deutlich, wie selbstverständlich die Politik das Desinteresse von Bürgern an einem als Infrastrukturmaßnahme (Bahn) getarnten Immobiliendeal vorausgesetzt hatte. Und zur selben Zeit wird darüber verhandelt, weitere Aberhunderte von Milliarden zur Rettung von Banken, die sich verspekuliert haben, aus sonst sorgsam verschlossenen Haushaltskassen frei zu machen. Diesmal in Irland, demnächst anderswo. Hier spielen Leute Monopoly und lassen die, die fürs „Spielgeld“ sorgen, nicht teilhaben? Ja nicht einmal dabei zusehen sollen sie dürfen?

Und siehe da, plötzlich macht sich in weiten Kreisen schnell mehr als nur „klammheimliche“ Freude bemerkbar, dass hier den Mächtigen in die Suppe gespuckt worden ist. Egal wo man hinhört, plötzlich erlebt man immer mehr ideelle Unterstützung. Natürlich viel davon im Internet. Die Zahl der Server, die inzwischen Wikileaks gespiegelt haben, steigen behende, derzeit sind es über 500. Die Freunde von Wikileaks auf Facebook sind weit über eine Million, bald eine halbe Million Follower sind es bei Twitter, Tendenz überall steil steigend.

Aber auch die Presse, die zunächst enttäuscht bis genervt reagiert hat, erschrickt über die massive Reaktion der Mächtigen und wertschätzt mindestens die Prozesse, die Wikileaks ausgelöst hat: das Nachdenken über unnötige Geheimhaltung und Staats-Privacy; das Erschrecken über die Unbekümmertheit von Berlusconi und anderen, Politik als ungezügelte Ego-Befriedigung zu pervertieren. Und immer ausgewogenere, klügere und positivere Artikel zu Wikileaks sind jetzt zu lesen. Zu allererst im Feuilleton der Süddeutschen (danke, Andrian), dann auch in der Welt, die einen Artikel zu Wikileaks, den Jeff Jarvis für die Huffington Post geschrieben hat, hier in Deutschland veröffentlicht hat. Besonders beeindruckend der Artikel von David Samuels in „The Atlantic“ (schon jetzt über 9.000 like it!), der die überzogene Reaktion US-amerikanischer Behörden auf Wikileaks anprangert. [Neu dazu gekommen: James Moore. „I am Julian Assange“ in der Huffington Post! ]

Den Zeitgeist spüren

Auf den Punkt bringt den Schwenk im Meinungsbild Clay Shirkey. Der erste Satz seiner klugen Reflexion zu Wikileaks und Nutzen und Unsinn von Geheimnistuerei in seinem Blog beginnt bezeichnenderweise mit dem Satz: „Like a lot of people, I am conflicted about Wikileaks“ Genau so ging es den meisten Menschen. Mir genauso. Inzwischen aber haben sich überraschend viele von denen, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben, auf die Seite von Wikileaks geschlagen. In der Zeitspanne von Tagen. Das sind die Momente, in denen der Zeitgeist fast körperlich spürbar wird. Danke, Herr Blatter, grazie, Signor Berlusconi, merci, Monsieur Trichet.

Und diesen Wandel erlebt man auch abseits der Medien. Gerade auch in gut bürgerlichen Kreisen, in denen man jetzt in der Adventzeit gerne zusammenkommt, und die seit Stuttgart 21 eine neue Macht und Durchschlagskraft erahnen, erlebt Wikileaks inzwischen Unterstützung und Rückhalt. Ja sogar bei durch ein Jurastudium vorbelasteten Menschen. (Das hat mich dann doch wirklich überrascht!)

So blöd es klingt. Das Spiel der Mächtigen wird seit Wikileaks nicht mehr dasselbe sein wie zuvor. (Binse 1) Und das ist gut so! (Binse 2) Es wird weiter im Geheimen agiert werden, in allen Sphären der Macht. (Binse 3) Aber das Spiel wird schwieriger. Will man etwas tun, was nicht ganz koscher ist, sollte man sich dann jetzt nur auf mündliche Abmachung verlassen, um keine schriftlichen Spuren zu hinterlassen? Schwierig und riskant!

Das macht doch seit frühesten Kindertagen am meisten Spaß: Wenn man schon nicht mitspielen darf, obwohl man den Ball mitgebracht hat, dann diesen bösen Buben wenigstens das Spiel so richtig zu vermiesen.

11 Kommentare zu „Geheim, geheim, geheim

  1. Lieber Michael,
    danke, wieder Mal ins Schwarze getroffen. Besonders prickeln fand ich die Posse von Sarkosy und den Türken, vorne hiu hinten pfui, Diplomatie vom Feinsten.

    Liebe Grüße und schöne Weihnachtstage

    Dirk

  2. Weitgehend einverstanden 😉 Aber im letzten Absatz steckt das Dilemma, in dem ich mich offen gesagt befinde: Wer sind die „bösen Buben“? Und wer legt fest, wer die bösen Buben sind? Denn investigativer Journalismus gegen „die Bösen“, zur Aufdeckung oder Verhinderung von Unrecht, ist natürlich legitim, sonst hätte es keinen Watergate-Skandal gegeben. Aber wo ist die Grenze? Ist es zum Beispiel auch legitim, Interna aus Firmen zu veröffentlichen (und Wikileaks betreibt ja keinen selektierenden und einordenenden Journalismus, sondern publiziert mal schnell ein paartausend Dokumente). Wikileaks hat glaube ich eine amerikanische Bank im Visier. Angenommen wir würden bei dieser Bank arbeiten und es würde Mailverkehr veröffentlicht, an dem wir beteiligt waren (ich weiß, das Beispiel ist etwas konstruiert). Es fände sich bestimmt je nach Sichtweise eine Legitimation, das publik zu machen (Kapitalismuskritik, Globalisierungsgegnerschaft etc.). Dennoch wäre es Unrecht. Wo verläuft also die Grenze zwischen legitimem öffentlichem Interesse an Information und von welchen Interessensgruppen auch immer gesteuerter illegitimer Indiskretion?

    1. Der Graubereich ist immer da. Wie in meinem Beispiel: Ich hätte in Deutschland etliche Prozesse vielleicht verloren, wenn Aussage gegen Aussage gestanden hätte. Da entscheiden in Deutschland von Stadt zu Stadt die Gerichte unterschiedlich. (Also wo ist dann da die Grenze?) In den USA wäre ich immer frei gesprochen worden, weil dort die Pressefreiheit besonders hoch gehängt wird, ich China wird jeder verurteilt (von anderen Ländern zu schweigen).

      Die Grenze würde ich ziehen zwischen berechtigtem Interesse der Öffentlichkeit und Schutz der Intimsphäre des Einzelnen. Das hieße aber immer, dass die Informationen redaktionell bearbeitet und möglichst eingeordnet werden. (Das tut Wikileaks nicht. Ist aber bei der Masse des Materials auch schwierig, da wird auf Crowdsourcing gesetzt.)

      Legalistisch betrachtet müssten Gerichte über die berechtigten Interessen der Öffentlichkeit urteilen. Aber da habe ich – in Bayern – nicht die besten Erfahrungen gemacht. (Einmal hat sich immerhin ein Staatsanwalt bei mir entschuldigt, dass r mich unter Anklage stellen „musste“.) Populistisch betrachtet, entscheidet die (Internet-?)Öffentlichkeit darüber.

      Das wird der große Konflikt der Zukunft sein, wer was wie veröffentlicht. Weil so könnte man ja auch Wirtschaftskriege und Konkurrenzkämpfe austragen und gezielt Interna lancieren. Sehr, sehr spannend die Zeiten, in denen wir leben…

    2. Nun, unser Staat geniert sich zum Beispiel nicht, ein paar CDs mit nicht wirklich legal beschafften Kundendaten zu kaufen und die Steuersünder damit zu überführen… Graubereiche, wie Michael sagt.

    1. Habe ich mit auch gerade angesehen. Eindrucksvoll. Hier sieht man die (positive) Macht von Enthüllungen – und den Trost, dass es nicht nur auf eine Person (Julian Assange) ankommt.

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